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  • Sofie Woldrich

Was Ghosting bei uns bewirkt


Foto: Dieter Wolff; Model: Sofie Woldrich

 

An alle meine Tinder-Matches, denen ich eine Zeit lang geschrieben und plötzlich nicht mehr geantwortet habe: I’m sorry.

Im Juli letzten Jahres, als klar war, dass ich meine Werkstudentenstelle bei einem Verlag kündigen muss, um mich als freie Journalistin selbstständig zu machen, bewarb ich mich bei mehr als 40 Anzeigen. Von 20 dieser Unternehmen wurde ich zum Vorstellungsgespräch eingeladen. 4 erteilten mir eine Absage. Vom Rest habe ich nie wieder etwas gehört.

Im ersten Moment war ich einfach nur verärgert, teilweise auch frustriert. War meine Zeit, die ich für das Vorstellungsgespräch und die Vorbereitung darauf genutzt hatte, denn so wenig Wert, dass man mir nichtmal eine kurze Mail schreiben konnte, dass sie sich doch nicht für mich entschieden hatten? Ich empfand das Verhalten der Unternehmen als Respektlosigkeit und sehe das auch heute noch so.

Nachdem ich auf die vierte ausbleibende Antwort wartete, begann ich mit meiner damaligen Mitbewohnerin über ihre Erfahrungen mit Ghosting im beruflichen Kontext zu sprechen. Es kam raus, dass auch sie bei der Bewerbung um einen Praktikumsplatz oft vergeblich auf eine Nachricht gewartet hatte. Auch eine andere Freundin teilte die Erfahrungen.

Wie es scheint, gehört es zum Arbeitsalltag, keine Antwort zu erhalten.


Wiederholt keine Antwort


Als auch bei meiner Selbstständigkeit ein Arbeitgeber, mit dem ich bereits eine freie Mitarbeit vertraglich festgehalten hatte, wiederholt meine E-Mails unbeantwortet ließ, wollte ich dies nicht länger stehen lassen. Ich fragte Menschen, die auf der anderen Seite saßen: Die Arbeitgeber:innen. Eine Chefredakteurin erklärte mir, dass sie pro Tag rund 200 Mails bekam. Da bliebe einfach keine Zeit, alle zu beantworten und ja, einige würden übersehen. „Traut euch, zu nerven“, riet sie mir. Mehrfach schreiben, anrufen, zur Not auch persönlich vorbeikommen.

Was dabei für mich ungeklärt blieb: Auch ich habe nur begrenzt Zeit. Ich kann nicht bei jedem Arbeitgeber mehrfach nachfragen, ob ich den Job bzw. den Auftrag nun habe. Woher weiß ich, wo es sich lohnt, dranzubleiben?

Ein halbes Jahr später, ich hatte dann doch irgendwann einen Aushilfsjob gefunden, dessen Vertrag nun auslief, suchte ich erneut nach Arbeit. Die Bewerbungsphase ging also von vorne los. Bei meiner dritten Bewerbung erhielt ich diesmal einen Anruf, dass die Arbeitgeberin Interesse hätte. Sie erzählte, wie nervig die Suche nach einer geeigneten Person für sie sei. „Es bewerben sich bis zu 100 Studenten und viele sehen sich die Stelle nicht genau an.“ Sofort traten mir Bilder von mir in den Kopf bei der Suche nach Stellenanzeigen auf LinkedIn, StepStone, Indeed, YoungCapital oder Workwise. Die Auswahl war so groß, dass ich nicht bei jeder Stelle vorab eine Recherche zum Unternehmen und den beschriebenen Aufgaben gemacht hatte. Die Mühe eines Anschreibens machte ich mir nur, wenn mich der Job wirklich interessierte. Der Job, den meine Gesprächspartnerin mir anbot, interessierte mich.


Trotz Probearbeiten


Einige Tage später kam ich also zum Vorstellungsgespräch. Wir sprachen ungefähr eine halbe Stunde, dann vereinbarten wir ein Probearbeiten. Für das Probearbeiten nahm ich mir drei Stunden Zeit. Ich erarbeitete die Ausgabe eines Newsletters und ließ mir das Branding des Unternehmens erklären. Nachdem ich erkannte, dass der Job mich zwar interessierte, mich aber angesichts meiner Selbstständigkeit überfordern würde, rief ich etwa eine Woche später an, um der Arbeitgeberin dies mitzuteilen. Ich sagte meinen Namen, wurde jedoch sofort unterbrochen, dass der Job schon vergeben sei. Ich setzte an, um zu erklären, dass ich eh absagen wollte, doch da hörte ich schon das Tuten.

Am meisten ärgert mich daran, dass ich nichts gegen diese unglaubliche Respektlosigkeit unternommen habe. Ich hätte direkt anrufen müssen, um für mich einzustehen. Stattdessen stand ich sprachlos in meinem Zimmer und schnappte nach Luft.


Das Gefühl, das bleibt


Ghosting gibt uns das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Als seien wir es nicht Wert, dass man mit uns redet. Im Arbeitsumfeld, aber auch in anderen Bereichen ist dies zur Normalität geworden. Sei es im Dating oder bei der freien Mitarbeit, in allen Fällen werden wir mit offenen Fragen zurückgelassen. Das macht es schwierig, die Dinge nicht auf uns selbst zurückzuführen, aber auch, damit abzuschließen. Wir kommen in einen Zustand des Wartens, von dem aus wir nicht wissen, wie wir weitermachen sollen. Niederlagen sind nicht schlimm, so lange wir die Chance bekommen, daraus zu lernen. So lange wir uns sagen können, dass es beim nächsten Mal, bei einem anderen Arbeitgeber besser klappen wird. Die Schnelllebigkeit unserer Welt macht es schwer, den Überblick zu behalten. Sowohl beim Anschreiben, als auch beim Antworten. Ebenso lässt sich nicht immer sagen, wo es Sinn macht, unsere Zeit und Energie zu investieren. Ein gutes Zeichen ist es sicherlich, wenn die Sache ehrliche Begeisterung in uns auslöst. Wenn wir es schaffen, diese Begeisterung in unserem Schreiben auszudrücken, steigt die Chance, dass wir diese Begeisterung zurückerhalten.


Wie gesagt, auch ich habe Menschen geghostet. Bei dem Überangebot, das wir auf Datingapps wie Tinder auffinden, ist es oft leichter, zur nächsten Person zu springen, statt eine Nachricht zu schicken, bei der wir davon ausgehen können, dass sie den anderen verletzt. Letztendlich schadet eine kurze Nachricht, dass es nicht passt, meist jedoch weniger, als gar keine. Es ist zudem gut möglich, dass die andere Person mit der Zeit erkennt, dass wir mit unserer Einschätzung richtig gelegen haben. Ja, es ist nicht möglich, alle Nachrichten zu beantworten und es würde auch nicht dem Aufwand gerecht werden, uns immer eine Erklärung zurechtlegen zu müssen, wenn es nicht passt. Manchmal passt es eben nicht. Doch auch das können wir genau so schreiben. Zumindest, wenn man zuvor in welcher Form auch immer Zeit investiert hat. Das sollten wir uns einander Wert sein.

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