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  • Sofie Woldrich

Geständnisse einer Neu-Selbstständigen




 

„Ich habe meinen Job gekündigt, um meinen Träumen zu folgen.“

Diesen Satz hört man momentan immer wieder. Gründer*innen erzählen ihre bewegende Geschichte in Podcasts, Instagram-Accounts werben mit hochwertigen Designs für ihre Seminare, ein deutsches Event, das sich für „größer“ hält, will mit seinen hochkarätigen Speaker*innen zeigen: Auch DU kannst es schaffen. Du musst nur etwas mutig sein.


Ich war mutig. Ich habe genau das getan: Meine ziemlich gute Werkstudenten-Stelle gekündigt und mich als freie Journalistin angemeldet. Nun war es aber nicht damit getan, dass ich bereits ein halbes Jahr vor meiner Kündigung sämtliche Zeitungen und Magazine recherchiert und einige davon auch angeschrieben, drei Monatsmieten gespart, zahlreiche Bücher und Netzwerktreffen genutzt und ganz besonders diesen unglaublich komplizierten Bogen zur Anmeldung der Selbstständigkeit beim Finanzamt ausgefüllt habe. Nachdem ich zwei Wochen jeden Tag aufs Neue versucht habe, mich als freischaffend anzumelden, hat irgendwann zum Glück mein Freund vorgeschlagen, für mich herauszufinden, welche Angaben bei diesen ganzen verwirrenden Kästchen zu machen sind, da es ihm leichter fiel, das Formular zu verstehen. Im Gegenzug habe ich ihm erklärt, wie er Instagram als Marketinginstrument nutzen kann - ja, ich bin dankbar, so ein gutes Team zu sein, nur falls das jemand fragt.


Am Ende habe ich dennoch um elf Uhr abends einen sehr guten Freund angerufen, um mir bei den letzten Fragen zu helfen oder vielleicht auch eher, um mir emotionalen Beistand zu leisten… Zumindest nachdem ich zwischen zwei Schluchzern rausbekommen hatte „…will…Selbständigkeit…“.

Ja, ich will die Selbstständigkeit.

Ich hatte aber nicht damit gerechnet, dass die eigentliche Herausforderung erst beginnen würde, wenn ich all das hinter mir habe.


Anders als ein fester Job


Anders als bei einem festen Job, muss ich mich nämlich um alle Aufträge selbst kümmern. Und das fühlt sich, zumindest noch, so an, als hätte ich jede Woche ein neues Vorstellungsgespräch. Ich mag Vorstellungsgespräche, ehrlich. Ich mag es, neue Leute und Unternehmen kennenzulernen und davon zu erzählen, welche interessanten Dinge ich schon ausprobiert habe. Nachdem ich jedoch in den letzten zwei Monaten bei rund zwanzig Vorstellungsgesprächen (also richtigen) war, habe ich gerade keine Energie mehr dazu.

Ich bin froh, letzten Endes doch noch einen Aushilfsjob gefunden zu haben. Und auch wenn ich nach wie vor mit vielem, was meine Eltern mir zu diesem Thema geraten haben, nicht übereinstimme, bin ich doch dankbar für ihre elterliche Weitsicht, mir zumindest für die erste Zeit ein bisschen sicheres Einkommen zu suchen. Ohne den Aushilfsjob sähe es gerade finanziell echt beschissen aus. Oder noch beschissener.

Damit meine ich: Ich arbeite gerade so viel, dass ich, als ich letztens etwas mit einem Freund gemacht habe, erstaunt war, wie lange es her ist, dass ich das letzte Mal etwas mit Freunden gemacht habe. Zugleich habe ich, neben Aushilfsjob, Studium und Datenbanken-Recherche für verschiedene Plattformen kaum Zeit für die Sachen, die zwar wenig Geld bringen, aber umso mehr Spaß machen. Die richtigen Artikel, meine ich. Dafür bin ich aber dauerpleite und lasse mich zu allen Unternehmungen einladen, während eine Stimme in mir sagt, dass ich meinem Freund und meinen Freunden gerade total auf der Tasche liege und sie früher oder später genervt von meinen ach so hohen Ambitionen sein werden.

Tatsächlich, hatte ich auch davon vorher gehört: „Die ersten Jahre der Gründung sind ein 60-Stunden-pro-Woche-Job“, „Urlaub entfällt die ersten Jahre“, „An die Arbeit am Wochenende muss man sich gewöhnen“.


"Urlaub entfällt jetzt erstmal."


Ich habe aber das Gefühl, das wird oft etwas romantisiert. Man macht seine Arbeit so gerne, dass man da gerne mal auf das Wochenende verzichtet.

Dabei sind Pausen so wichtig!

Aber wo bleibt meine Pause?

Dass ich mir geregelte Arbeitszeiten gesetzt habe und diese auch tatsächlich, nach langem Üben, schaffe, einzuhalten, ist schon mal viel Wert. Das Arbeitszimmer, dass ich nun, da meine Mitbewohnerin ausgezogen ist, eingerichtet habe, ist eine weitere Hilfe. Damit setze ich Grenzen, zwischen meinem Privatleben und der Arbeit, so gut es eben geht. Auch zu Auftraggebern muss ich Grenzen setzen. Wenn sie mehr von mir erwarten, als vereinbart. Wenn sie mir weniger zahlen, als das, wofür ich arbeite. Wenn sie mich in der Ungewissheit lassen, ob sie nun mit mir zusammen arbeiten wollen oder nicht.

Doch auch das muss ich erst lernen. „Du wirst da schon reinwachsen“ - Ja, werde ich. Doch momentan kostet es mich einfach sehr, sehr viel Energie und Zeit (und Geld).

Ob es sich am Ende lohnt? Wenn ich auf einem Konzert bin und weiß, ich werde gerade dafür bezahlt, all die Eindrücke so tief einzusaugen wie es geht, oder ein Gespräch mit einer strahlenden Frau führe, die mit ihrem Van durch Europa fährt und dort Straßenmusik macht, oder Texte wie diesen schreibe, denke ich: Ja.

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